Kulturen im Kontext

Zehn Jahre Sammlung Deutscher Drucke

Eine Ausstellung seltener und schöner Bücher, Zeitschriften und Flugblätter aus sechs Jahrhunderten

12.11.2000 - 7.1.2001

Historischer Saal der Paulinerkirche

Weltweit sind Nationalbibliotheken als zentrale Sammelstellen und bibliographische Zentren für historische wie aktuelle Druckschriften ihres Landes eine Selbstverständlichkeit – anders ausgerechnet in Deutschland, beim „Volk der Dichter und Denker“. Erst 1913 mit der Gründung der Deutschen Bücherei in Leipzig wurde mit Blick auf die zeitgenössische Buchproduktion der im Ausland längst übliche Standard erreicht. Die Gesamtverantwortung für das vor 1913 gedruckte kulturelle Erbe Deutschlands blieb jedoch weiterhin ungeklärt. Zu den gravierenden Folgen zählen die regionale Zersplitterung und der generelle Mangel an Vollständigkeit der Sammlungen.

In einer einzigartigen Aufholaktion haben fünf bedeutende deutsche Bibliotheken (mit langjähriger Unterstützung der Volkswagen-Stiftung) seit 1990 für mehr als 25 Millionen DM über 70.000 Bücher aus der Zeit von 1450 bis 1912 erworben, von denen viele bislang in keiner deutschen Bibliothek vorhanden, etliche sogar völlig unbekannt waren. Diese ermutigende Zwischenbilanz des auf einen langen Zeitraum angelegten Projekts zeigt einmal mehr, wie sehr sich das Konzept einer dezentralen, auf mehrere Standorte verteilten historischen Nationalbibliothek für Deutschland bewährt hat. Seit 1995 beteiligt sich auch Die Deutsche Bibliothek (Frankfurt am Main, Leipzig) an der Arbeitsgemeinschaft SAMMLUNG DEUTSCHER DRUCKE. Dadurch kann die große nationale Aufgabe des Sammelns, Erschließens und Bewahrens des gedruckten deutschen Kulturerbes ohne Zeitbegrenzung in Kooperation von sechs leistungsfähigen Partnern erfolgen.

Die über 200 Exponate der Jubiläumsausstellung der Arbeitsgemeinschaft SAMMLUNG DEUTSCHER DRUCKE dokumentieren nicht nur sechs Jahrhunderte deutscher Kulturgeschichte, sondern insbesondere auch deren Entwicklung im europäischen Kontext. Die vielfältigen und fruchtbaren Wechselbeziehungen der nationalen und regionalen Kulturen in Europa werden in der Ausstellung in eindrucksvoller Weise lebendig.

So stellt die Bayerische Staatsbibliothek München (Sammlungszeitraum 1450 - 1600) den „Aufbruch in die Neuzeit“ anhand bedeutender Werke des europäischen Humanismus vor. Die Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel (1601 - 1700) stellt ihren Zeitraum unter das Motto „Einheit und Vielfalt – Deutschland und Europa im 17. Jahrhundert“. Die Niedersächsische Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen (1701 - 1800) präsentiert die Hauptströmungen der europäischen Aufklärung und äußerst seltene Exponate aus dem Bereich der sog. „Volksaufklärung“ für den ‚gemeinen Mann‘. Montesquieus epochale Abhandlung Vom Geist der Gesetze ist dabei ebenso vertreten wie David Hendersons Des Landmanns Advocat oder die Gemeinnützlichen Volksnachrichten auf das Jahr 1789. Die Stadt- und Universitätsbibliothek Frankfurt am Main und die Senckenbergische Bibliothek (1801 - 1870) dokumentieren die Herausbildung der „Wissenschaft des Judentums“ und den „Aufbruch der Medizin in die Moderne“. Der Beitrag der Staatsbibliothek zu Berlin (1871 - 1912) ist dem Thema „Jahrhundertwende“ gewidmet und steuert seltene Veröffentlichungen aus den Bereichen Buchkunst, Kinderbücher und zur gesellschaftlichen Rolle der Frau bei. Die Deutsche Bibliothek (1913 ff.) beschließt die tour d'horizon mit einer beeindruckenden Auswahl deutscher Exilliteratur aus den Jahren 1933 - 1945.